Eine weitere schlechte Note
Sie schlug mir meinen Atlas auf den Kopf. Sie schrie mich an. "Du hast schon wieder ein Minus auf der Schularbeit!", schrie sie. Ich traute es nicht zu sagen. Es war doch nur eine Wiederholung. Einer Französischwiederholung. Mein Kopf schmerzte schrecklich. Ich brach in Tränen aus, aber sie tat weiter. Immer wieder sagte sie nach solchen Situationen, dass es ihr so unendlich leid tat und sie ihre eigene Tochter nie weh tun wollte. Dass das nur Wutausbrüche waren. Dass ich sie zur Weißglut trieb. Noch einen Monat, dann wären Ferien. Ich hatte vor mich in den Ferien in meinem Zimmer einzuschließen. Dann könnten mich alle. Verhungern. Ich würde verhungern und irgendwann würde auch meine Mutter es merken. In solchen Situationen fragte ich mich, wie es wäre, wenn Vater noch da wäre. Als ich drei Jahre alt war, ist er gegangen. Einfach weg. Er hatte mir gesagt, dass ich sein Schatz bin. Das Wichtigste in seinem Leben. Warum wollte er dann das Besuchsrecht nicht? Hatte er mich immer belogen? War ich ihm wirklich nichts Wert? Meine Mutter warf den Atlas auf den Boden und stürmte aus der Küche. Sie kam kurz darauf mit Büchern wieder. Sie riss die Seiten raus. Meine Bücher litten wegen mir. "Mama, bitte hör auf!", fehlte ich weinend. Sie schlug mir das Buch, wo sie gerade ein wunderschönes Bild herausgerissen hatte mit voller Wucht auf den Kopf, warf es auf den Boden und schloss mich in der Küche ein. Sie fluchte vor sich hin und ließ mich alleine weinen. Mein Kopf schmerzte unglaublich sehr. Ich hoffte, dass er explodierte. Dann wäre ich die Kopfschmerzen und mein Leben los. Ich hörte Schritte. Jemand schloss die Tür auf. Es war mein großer Bruder. Er schloss die Tür hinter sich und nahm mich in die Arme. Er war da, wenn es mir elend ging. Aber er war nicht immer da. Ich klammerte mich an ihn. Er drückte mich an sich und tröstete mich. Es half. Ich hörte auf Tränen zu vergießen, aber in meiner Brust schmerzte mein Herz. Mein Bruder ging dann wieder. Er widmete sich wieder seinem Spiel. Ich wusste nie, was er spielte, oder was ihm daran so gefiel. Ich nahm das Bild, welches meine Mutter aus einem Buch herausgerissen hatte. Es war aus "Der geheime Garten". Ich mochte das Buch. Ich las es sehr gerne. Auch Seiten aus Märchen lagen am Boden verstreut. Ich nahm sie alle und ging aus der Küche. Ich sperrte mich in meinem Zimmer ein. Die Uhr schlug acht Uhr Abends. Es war Zeit für mich, ins Bett zu gehen. Ich zog mich um und schlüpfte in mein Bett. Morgen müsste ich Französisch lernen. Den Musiktest würde ich morgen zurück bekommen. Musik lernte ich sehr gerne. Ich liebte Musik. Die Schulfächer Deutsch, Englisch, Musik und Kunst mochte ich am meisten. Geschichte und Erdkunde waren vom Thema abhängig. Als wir in Geschichte das Thema Ägypten hatten, war ich eine der Besten gewesen. In Erdkunde war das Gleiche mit Naturkatastrophen. Biologie konnte ich nie leiden. Das lag am Lehrer. In seinen Augen gehörte ich in eine Anstalt für psychisch Behinderte. Behinderte. Dieses Wort hasste ich. Ob nun blind, im Rollstuhl, oder sonst wie. Menschen waren in meinen Augen Menschen. Auch Homosexuelle waren bei mir normal. Andere sehen sie als andere Wesen und meiden diese, aber ich akzeptiere sie. Das hatte ich von meiner Mutter. Leute zu akzeptieren. Aber ich glaubte immer an das Gute in Menschen, sie nicht. Manchmal schon, aber nicht immer. Auch Leute, die andere verprügeln taten mir leid. Denn diese hatten selbst Probleme. Irgendwann schlief ich ein. Ich hörte einen Schrei in meinen Träumen. Es war mein eigener.